Die Geschichte der SPD in Kierspe

von Heinz-Willi Potthoff

Die Geschichte der Kiersper SPD ist eng verbunden mit der kommunalen Entwicklung unserer Gemeinde und damit auch mit den Menschen und dem Gemeinschaftsleben.

Schon vor dem 1. Weltkrieg traten Kiersper Bürger in Zusammenarbeit mit Lüdenscheider Sozialdemokraten für die Ideale der Arbeiterbewegung öffentlich ein. Einen eigenen Kiersper Ortsverein der SPD gab es allerdings noch nicht. Damals war die Zeit dazu noch nicht reif.

Die Weimarer Republik 1918-1933

Nach dem Ende des 1. Weltkrieges und dem Zusammenbruch des Kaiserreiches im November 1918, nach Hungerjahren, Not und millionenfachem Tod, standen die Menschen vor der Aufgabe, wieder aufzubauen, die Kriegsfolgen zu beseitigen.

Nach der Zeit der Arbeiter- und Soldatenräte stellten sich die Kiersper Sozialdemokraten dieser schweren Aufgabe durch ihre Mitarbeit im Gemeinderat. Die Kommunalwahlen von 1919 ergaben eine sozialdemokratische Mehrheit, die dann allerdings 1924 wieder verlorenging.

Die Zeit nach dem 1. Weltkrieg war geprägt von hoher Arbeitslosigkeit und Inflation. Die Besetzung des Rheinlandes durch die Franzosen hatte Wohnungsnot durch den Zuzug von Ausgewiesenen und Flüchtlingen zur Folge. Trotz allem wurde kommunalpolitisch viel geleistet und in die Zukunft gedacht. So wurden z.B. die Wasserleitungen von Dorf und Bahnhof miteinander verbunden und bis 1924 der Bau zahlreicher Wohnhäuser von der Gemeinde unterstützt, um die Wohnungsnot zu lindern.

1923 förderte die Gemeinde die Errichtung der Turn- und Sportplätze in Berkenbaum, Kierspe-Bahnhof und Kierspe-Dorf. Die Vereine halfen mit, packten mit an, damals so – wie heute immer noch.

Die Kiersper SPD war in zwei Ortsvereinen und Gewerkschaftsvereinen verhältnismäßig gut organisiert. Amtmann Hiltebrandt weist 1925 in einem Kiersper Vereinsverzeichnis aus:

43. Deutscher Metallarbeiterverband Oberbrügge – Vorsitzender E. Vollmann

44. Gewerkverein Deutscher Metallarbeiter Kierspe-Bahnhof – Vorsitzender Fr. Pollmann

53. Sozialdemokratischer Verein Kierspe-Bahnhof- Vorsitzender Fr. Pollmann

Im Volmetal gab es noch den SPD-Ortsverein Oberbrügge-Bollwerk, außerdem existierte ein Konsumverein.

Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold nahm 1925 gemeinsam mit allen anderen Vereinen und den Kirchengemeinden an der Einweihungsfeier des Ehrenmals in Kierspe-Bahnhof teil.

Die erste deutsche Demokratie blühte noch.

In den letzten Jahren der Weimarer Republik wurden die politischen Auseinandersetzungen schärfer. Die Weltwirtschaftskrise brachte Arbeitslosigkeit und Not in heute kaum vorstellbarem Maße. Die Wahlen brachten Erfolg für die radikalen Parteien. Hitler kam zur Macht.

Am 12. März 1933 fanden die letzten Gemeinderatswahlen statt. Die Sozialdemokraten erhielten am 22. Juni 1933 Betätigungsverbot und konnten ihr Mandat nicht mehr ausüben. Die demokratische kommunale Selbstverwaltung wurde durch die Alleinherrschaft der NSDAP beendet.

Stellvertretend für viele andere soll hier an Otto Ruhe erinnert werden. Er wurde 1928 als noch junger Mann in den Gemeinderat gewählt, gehörte diesem bis zum Jahre 1933 an und war dann nach dem Zusammenbruch 1945 wieder als Mann der ersten Stunde dabei.

Frieden und Wiederaufbau

Nach dem Kriegsende 1945 gründeten sich im Amtsbereich Kierspe, also den Gemeinden Kierspe und Rönsahl, 5 Ortsvereine der SPD: in Rönsahl, Oberbrügge, Bollwerk, Kierspe-Bahnhof und Kierspe-Dorf. Von den Gründern lebt heute noch Fritz Schütz, langjähriges Ratsmitglied und einige Zeit stellvertretender Bürgermeister.

Die ersten freien Nachkriegswahlen zum Gemeinderat leiteten 1946 die kommunale Selbstverwaltung in neuer Form ein. Der Bürgermeister als Ratsvorsitzender arbeitete nun ehrenamtlich; die Verwaltung wurde durch den Gemeinde- bzw. Amtsdirektor hauptberuflich geleitet.

Nach einer Übergangszeit wurde Otto Ruhe 1947 als Sozialdemokrat zum Amts- und Gemeindebürgermeister gewählt. Zwanzig Jahre lang – von 1947 bis 1967 – übte er dieses Amt aus. In den langen Jahren seines kommunalpolitischen Wirkens hatte er maßgeblichen Anteil am Wiederaufstieg unserer Stadt.

Der Rat verlieh Otto Ruhe den Ehrenring der Stadt und den Titel „Ehrenbürgermeister“. Heute trägt nach Ratsbeschluß die Strasse zur Gesamtschule seinen Namen.

Von 1964 bis 1967 löste Helmut Lemmer, CDU, Otto Ruhe als Amtsbürgermeister im Geiste einer guten Zusammenarbeit der Parteien ab und wurde nach dem Ausscheiden Otto Ruhes auch zum Bürgermeister der Gemeinde Kierspe gewählt. Amtsbürgermeister wurde Heinz Willi Potthoff, SPD.

Die kommunale Neuordnung 1969 hob die Ämterverfassung NRW auf. Die bis dahin selbständigen Gemeinden Rönsahl und Kierspe wurden zur Stadt Kierspe zusammengelegt. Der Kiersper Ortsteil Oberbrügge kam zu Halver. Damit änderten sich im neuen Stadtrat die Mehrheitsverhältnisse zum Nachteil der SPD. Die CDU und die neu gebildete UWG koalierten. Helmut Lemmer blieb Bürgermeister, die UWG stellte den Stellvertreter. Obwohl sehr eindeutig stärkste Ratsfraktion, wurde die SPD nun die Opposition.

1975 honorierten die Wähler die Leistungen der SPD und wählten eine neue Ratsmehrheit für SPD und FDP. Heinz Willi PotthofF wurde zum Bürgermeister gewählt und nimmt dieses Amt bis heute ununterbrochen wahr. Die SPD blieb in allen nachfolgenden Kommunalwahlen die stärkste Partei in Kierspe.

Das wäre über eine so lange Zeit nicht möglich gewesen ohne die Basisarbeit der Ortsvereine und die bürgernahe Arbeit der SPD-Ratsmitglieder sowie der Ratsfraktionen in der Zeit ab 1946. Zu erinnern ist hier an Edmund Hinzen, der ab 1948 bis zu seinem Tode die Fraktion leitete, die dann von Walter Vollmann aus Rönsahl weitergeführt wurde, bis Heinz Willi Potthoff den Vorsitz bis 1975 übernahm. Nach dessen Wahl zum Bürgermeister wurde Gerd Dunkel Fraktionsvorsitzender. Dann übernahm Jörg Raguse den Vorsitz bis Januar 1986. Seitdem leitet Fritz Voswinkel aus Rönsahl die Fraktion.

Die Ortsvereine

Erinnern wir uns: 1946 gründeten sich fünf neue SPD-Ortsvereine im Amt Kierspe. Heute sind es nur noch zwei: Kierspe und Bollwerk-Vollme. Die kommunale Neuordnung 1969 hatte auch zur Folge, daß die Oberbrügger nun voll nach Halver orientiert waren und in Rönsahl der Antrieb der eigenen Gemeinde verloren ging. Kierspe-Dorf und Kierspe-Bahnhof hatten sich bereits 1947 unter dem Vorsitz von Otto Ruhe zusammengefunden. Die Rönsahler schlossen sich 1972 mit Kierspe zusammen.

In Rönsahl hatte es die SPD nie leicht. Trotzdem konnte sie, nach einer Neugründung I960 (das Ziel war, bessere Wahlergebnisse zu erzielen), unter dem Vorsitz von Kurt Zander auf Anhieb 4 von 11 Ratsmandaten erringen. 1964 waren es bereits 5 Ratssitze. Hugo Schmale, dann Oskar Graf und später Kurt Zander wurden stellvertretende Bürgermeister. 1969, beim Übergang zur Stadt Kierspe, errang Walter Vollmann ein Direktmandat. Es bleibt zu registrieren: Die kommunale Neuordnung hat vielen interessierten Mitbürgern die Möglichkeit zur Mitarbeit genommen.

Der SPD-Ortsverein Bollwerk-Vollme wählte einen anderen Weg. Nachdem Heinrich Schmidt und Helmut Fabig den Ortsverein im Volmetal wieder gründeten, die Oberbrügger aber ebenfalls selbständig weiter arbeiteten, ging die Mitgliederwerbung in Richtung Vollme und Grünenbaum. Es galt, dieses sehr weitläufige ländliche Gebiet Kierspes kommunalpolitisch orts- und bürgernah zu versorgen. Helmut Fabig und Paul Eilermann haben lange Jahre als Ratsmitglieder dafür gesorgt. Der Ortsverein lehnte es deshalb 1973 ab, sich mit dem OV-Kierspe zusammenzuschließen. Die spätere Entwicklung gab dieser Entscheidung recht. Bei wachsender Mitgliederzahl konnten beide zu betreuenden Wahlbezirke von Heide Wieland und Annmarei Roth direkt geholt werden. Die Wahlbeteiligung lag in beiden Bezirken weit über dem Kiersper Durchschnitt. Nach Heinrich Schmidt, Helmut Fabig, Paul Eilermann, Gerd Dunkel und Ferdinand Schmidt ist nun schon seit Jahren Annmarei Roth Vorsitzende des Ortsvereins Bollwerk-Vollme.

Im größten Teil des Kiersper Stadtgebietes wirkt heute der bereits im Jahre 1919 gegründete SPD-Ortsverein Kierspe. Zum Jubiläum ,,50 Jahre SPD in Kierspe“ wurden am 13. September 1969 von den damaligen OV-Vorsitzenden Heinz Willi Potthoff für 50 Jahre Mitgliedschaft in der SPD die Mitglieder F. Kemper, W. Fuchs, E. Gräve, A. Panne, A. Markus, P. Plate und A. Linde geehrt sowie für 40 Jahre Parteizugehörigkeit B. Köppke, F. Nockemann, E. Baumann und O. Ruhe.

Nach der Gründung neuer Ortsvereine im Amt Kierspe im Jahre 1946 wurde Fritz Schütz Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Kierspe. Ihm folgten die OV-Vorsitzenden Otto Ruhe, Edmund Hinzen, Horst Gutmann, Heinz Willi Potthoff, Rolf Huble, Jörg Raguse, Fritz Schmid und Fred Struck.

Seit 1988 leitet Marli Fricke als erste Frau in der Geschichte der Kiersper Sozialdemokraten den Ortsverein Kierspe, 2. Vorsitzender ist der Kiersper Kreistagsabgeordnete Ulli Duffe.

Das Einzugsgebiet des SPD-OV Kierspe erstreckt sich heute vom Bahnhofsbereich über Kierspe-Dorf bis Rönsahl. Die von über 150 Mitgliedern geleistete politische Arbeit setzte Akzente für die Kiersper Kommunalpolitik und – das ist bei vielen öffentlichen Veranstaltungen auch in jüngster Zeit bewiesen worden – konnte immer wieder überörtliche Bereiche der „großen“ Politik in Kierspe thematisieren. Mit Veranstaltungen zur Rentenpolitik, zur Problematik in der Landwirtschaft, zu Menschenrechtsverletzungen in Südafrika suchte und fand der Ortsverein Kierspe immer das Gespräch zu anderen politisch engagierten Gruppen in der Stadt. Schon früh kümmerte sich der SPD-OV Kierspe um umweltpolitische Fragestellungen – in dem Bewußtsein, daß auch überregionale Themen für Kommunalpolitik in Kierspe eine große Bedeutung haben müssen. Auf Veranstaltungen zum Landschafts- und Naturschutz, zu Energiefragen oder zur Abfallproblematik, zur Arbeitsplatzsicherung oder zum Wohnungsbau initiierte die SPD Kierspe kommunalpolitische Aktivitäten mit großer Bedeutung für die Zukunft.

Die Kiersper SPD genießt auch überörtlich hohes Ansehen. Nachdem, leider viel zu früh, unser Landtagsabgeordneter und langjähriger Kreistagsabgeordneter Prof. Dr. Dieter Aderhold verstorben ist, kandidiert Irmgard Schmid aussichtsreich zur Landtagswahl im Mai 1990. 15 Jahre im Rat, konnte sie 10 Jahre lang politische Erfahrung als stellvertretende Bürgermeisterin in Kierspe sammeln. Heute ist Marli Fricke als zweite stellvertretende Bürgermeisterin im Amt.

Damit wird deutlich: Die SPD Kierspe geht konsequent den Weg, Frauen stärker in die politische Verantwortung zu bringen.

Heimat suchen – Heimat gestalten

Über 70 Jahre hinweg haben in Kierspe Sozialdemokraten die kommunale Selbstverwaltung maßgebend geprägt und gemeinsam mit anderen demokratischen Parteien und Gruppen unsere Heimat gestaltet.

Von 1933-1945 verboten und verfolgt, mußten sie 1945 – wie schon einmal 1919 – in schwierigster Zeit aufbauen, mithelfen, den Menschen wieder Hoffnung auf ihre Zukunft zu geben. Viele Vertriebene und Flüchtlinge fanden nach dem Wahnsinn der beiden Weltkriege in Kierspe wieder eine Heimat. Die revolutionären Veränderungen in Osteuropa und in der DDR haben dazu geführt, daß zahlreiche Aussiedler, Übersiedler und Asylanten Sicherheit, Arbeit, Wohnung, Freiheit und Wohlstand hier bei uns in Kierspe suchen. Dieser Zuzug wird noch lange anhalten.

Die Kiersper Sozialdemokraten fühlen sich, wie schon ihre Vorgänger 1919 und 1945, besonders in die Pflicht genommen, zu helfen.
Das Leitwort des Kreisheimattages in Kierspe wird uns dabei Richtlinie sein: „Heimat suchen – Heimat gestalten“.

Für diese umfassende Übersicht danken wir unserem ehemaligen Amts- und Gemeindebürgermeister Heinz-Willi Potthoff. Sie erschien 1990 in dem Buch „Kierspe – Märkischer Kreis“, das anlässlich des Kreisheimattages vom Heimatbund Märkischer Kreis herausgegeben wurde.